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Berlin Marathon 2014 (mein PB-Lauf)

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28.09.2014

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Die Anmeldung für den Berlin Marathon hatte ich längst verpasst und es gab nur noch die Möglichkeit über einen Reiseanbieter an eine Startnummer zu kommen. Lange überlegte ich hin- und her – denn so ein Wochenende (gerade über Reiseanbieter) schlägt auf's Familienbudget. Mein Herz setzte sich schliesslich durch und ich buchte den Marathon im Mai, zusammen mit meinem Laufkollegen Sven Ohler aus Ulm, den ich über Twitter kannte und auch schon zwei Mal beim Kandel Halbmarathon getroffen hatte. Über die Twittergemeinschaft (siehe auch meinen Bericht zum Wienmarathon 2014) wurde meine anzustrebende Zielzeit, nicht wie von mir gemässigt auf 2:42 gesetzt, nein, ich wurde dazu überredet eine 2:39 anzuvisieren, was sich in meinem Kopf als völlig verrückt anhörte. Bald aber war das Projekt #Berlin239 fester Bestandteil in meiner Timeline auf Twitter und auch Christian Schmuck (mein Pacemaker vom Wien Marathon und schnellster Österreicher vom Berlin Marathon 2013) twitterte bald darauf, dass auch er in Berlin starten würde und zwar mit Ziel 2:29. So geisterten dann Wochenlang die Hashtags #Berlin239 und #Berlin229 durch unsere Twittertimeline's.
 

Ich kann mich an dieser Stelle wirklich nur wiederholen: Twitter bildet gerade oder insbesondere für den „leistungsorientierten“ Laufsport eine unglaubliche Quelle von Inspiration und Motivation (Stichwort #Twitterlauftreff). Eine grosse Anzahl von TwitterkollegenInnen outeten sich ebenfalls als Berlin Marathon Teilnehmer und so fanden sich rasch zu fast jeder Zielzeit ein paar Twitterer. Die Twittermanie führte dann auch noch dazu, dass ich im Juni damit aufgehört habe Schokolade und andere Süssigkeiten zu essen: alles im Hinblick für eine grossartige Zielzeit in Berlin. Verrückt, was man alles auf sich nimmt – für vielleicht 60 oder im besten Fall 90 Sekunden... Alles für nichts und wieder nichts – nur für einen selber. Das ist Marathon.

Ich trainierte wiederum nach einem Plan aus der Feder von Peter Greif und so wurden die Zügel gegen Ende Juli so richtig straff angezogen. Ich powerte mich bei den Tempoläufen durch Basel richtig aus – so, dass ich oft anschliessend (ich habe am Dienstag und Mittwoch Nachmittag jeweils Familennachmittag) nur noch auf Sparflamme mit meinen beiden Söhnen (2 + 7) spielen konnte. Auch bei den Intervallen kannte Greif keine Gnade und ich lief jeweils am Limit. Das Training verlief sehr gut und mein Körper schien die zunehmende Härte sehr gut wegzustecken.
 

Bis zu jenem Donnerstag Mittag rund sechs Wochen vor Berlin. Ich musste 17 x 400m mit jeweils 200m reduziertem Tempo laufen und merkte wie sich dabei die rechte Hüfte komisch anfühlte. Es zwickte mich sogar zweimal relativ stark. Dennoch zog ich dieses Training voll durch... und konnte anschliessend kaum mehr zurück zur Arbeit joggen. Schmerzen an der rechten Hüfte! Unter der Dusche stellte ich noch fest, dass ich nicht mehr auf dem rechten Bein stehen konnte. Der Osteopathe und der Sportarzt diagnostiezierten einen überforderten M.Gluteus medius und minimus. Zwei Wochen Laufpause, bzw. Alternativtraining wurde verordnet.
 

Enttäuscht postete ich auf Twitter und Facebook, dass ich unter diesen Umständen in Berlin meine persönliche Bestzeit nicht würde angreifen können. Dennoch blieb ich ruhig und gefasst, denn ich wusste, dass ich bei rascher Genesung auch noch in Frankfurt (Ende Oktober) eine schnelle Zeit würde laufen können. Ich stieg Zuhause im Keller auf den Ergometer und setze mein Training alternativ fort (und das nachdem ich mit 116km und 129km zwei super starke Laufwochen hinter mir hatte).

Dann simulierte ich im Schwimmbad mittels Aquajogging einen 10km Testlauf und blieb mit „Ein- und Auslaufen“ insgesamt 60 Minuten im kalten Wasser. Danach schlotterte ich eine volle Stunde lang! Ich fühlte mich anschliessend jedoch so gut, dass ich noch am selben Abend zusätzlich eine lockere Testrunde lief. Zu meinem Erstaunen lief es mir dabei sehr gut, die Hüfte spürte ich nur ein bisschen. Exakt eine Woche lang hatte ich Laufpause – 120km habe ich dadurch verpasst. Dann stieg ich wieder ein und lief drei Tage später am Sonntag einen 35km Lauf mit 12km Endbeschleunigung! Und es lief ausgezeichnet. In der Folgewoche spulte ich sogar 143km ab (das war zu diesem Zeitpunkt ein neuer persönlicher Trainingsrekord) – die Schmerzen kehrten in die Hüfte zurück, blieben aber erträglich, so, dass ich wirklich voll trainieren konnte.
 

Mein Sportarzt ermahnte mich und meinte bei meinem zweiten Besuch, dass er mir zwei Wochen Alternativtraining verordnet hätte. Ich aber vertraute ganz auf meine Erfahrung und mein Gefühl – Berlin würde immerhin mein 23. Marathon werden. Und trotz einem Tempodauerlauf- und Intervallverbot von meinem Sportarzt (er möge es mir freundschaftlich verzeihen) zog ich mein Training voll durch. So lief ich drei Wochen vor Berlin den Abschiedshalbmarathon von Viktor Röthlin in Sarnen (Switzerland Marathon light). Es war ein heisser Tag, ein welliger Kurs, vor allem mit einem harten, langgezogenen Anstieg bei Km 16 und ich hatte am Start bereits 100 Wochenkilometer in den Beinen. Dennoch lief ich – zwar in enttäuschenden 1:19:23 - auf den dritten Rang in meiner Altersklasse M40.


Dann folgte die sogenannt heisse Woche: drei Wochen vor Berlin durften und sollten noch einmal richtig viele Kilometer gelaufen werden. Via Twitter und über Garmin Connect spornten wir uns gegenseitig zu perönlichen Rekorden an und so schaffte ich – obwol ich bereits am Montag (!!) Schmerzen an den Waden hatte – eine perfekte Laufwoche mit sagenhaften 161km! Das war einfach nur Wahnsinn. Die Hüfte blieb unverändert und die Waden liessen sich mit Eis und Selbstmassagen bei Laune halten. Zusätzlich dazu war ich auch noch einmal auf dem Ergometer. Am Mittwoch dieser Woche bestritt ich sogar insgesamt drei Laufeinheiten – ich war praktisch nonstop am Duschen :-)

Langsam nahm die Spannung zu und ich war bereits in der ersten Taperingwoche (in der man die Umfänge schon mal reduziert, die Intensität jedoch noch hoch hält) und war nun auf bestem Wege doch noch top fit an den Start zu gelangen. Dann aber holten mich die langangekündigten Umstrukturierungen in unserer Firma auf den Boden der Realität zurück. Ich erhielt eine Woche vor dem Berlin Marathon den neuen Arbeitsvertrag mit etwas weniger Lohn als bisher. Das hat mich angesichts der Tatsache, dass das Leben allgemein im nächsten Jahr nicht günstiger werden würde (höhere Krankenkassenprämie, Teuerung und drittes Kind; zudem wir aus Budget-Gründen erst letztes Jahr unser Auto verkauft hatten), doch recht verunsichert. Es fanden nun fast täglich Gespräche mit der Peronalchefin und dem CEO statt, was mir viel wichtigen Schlaf - und auch abends wertvolle Zeit gekostet hatte, die ich lieber in die Marathonvorbereitung gesteckt hätte (es gibt jeweils sehr viel vorzubereiten). Zwei Tage vor dem Berlin Marathon erhielt ich dann den ernüchternen Entscheid, dass der schlechtere Vertrag so bleibt. Es war der Tag meines Abfluges und so hat diese ganze, doch eher etwas unschöne Geschichte einen kleinen Schatten auf den Berlin Marathon geworfen. Dazu kam, dass ich nach einem lockeren Lauf am Tag zuvor auf einmal grosse Schmerzen im linken Knie verspürte. Zu dem Zeitpunkt dachte ich, dass ich nicht zu mehr als einer 2:50er Zeit fähig sein würde – aber gleichzeitig arbeitete ich innerlich auf Hochtouren daran, dass ich mental stark blieb.


Ich landete am frühen Freitag Abend in Berlin Schönefeld, fuhr mit dem Zug zum Hauptbahnhof und erreichte dann bequem zu Fuss mein Hotel. Schon kurz darauf traf ich Sven zusammen mit einem Kollegen und einer Kollegin zum Abendessen. Von dem Zeitpunkt an war ich nun voll abgelenkt und auf den Marathon fokussiert. Unser Hotelzimmer war für zwei Erwachsene etwas eng – aber mit Sven ging das ausgezeichnet, denn wir verstanden uns prima. Am Samstag ging es dann nach einem ausgedehnten Frühstück zur grossen Marathonmesse. Dort holte ich meine Startnummer ab und traf schon mal ganz viele Twitterer vom #Twitterlauftreff. Den Nachmittag verbrachten wir dann gemütlich im Hotel wo wir noch das obligate Nickerchen hielten und auch noch von Birger kurz besucht wurden. Das Carboloading verkürzte ich diesmal auf zwei Tage, was meinen Zähnen sehr entgegen kam. Am Samstag Abend fand schliesslich die grose Pastaparty mit dem #Twitterlauftreff statt – sozusagen der eigentliche Höhepunkt. Viele bekannte – und auch viele neue Gesichter vom #Twitterlauftreff waren in guter Laune anzutreffen. Die Firma Manner schickte uns zu diesem Treffen sogar 5kg Mannerschnitten, eingepackt in Kartons die im Mannerschriftzug das Wort "Marathon" aufgedruckt hatten. Das war wirklich eine gelungene Aktion (beim Wien Marathon kam der Manner-Mann sogar persönlich zum Pastaessen vorbei!). Ja, Social Media bewegt!


Christian, wie mehrfach erwähnt mein Pacemaker vom Wienmarathon, wirkte sehr gelassen und alle trauten ihm die 2:29 ohne weiteres zu – auch ich war fest von ihm und seinem Vorhaben überzeugt. Dann ging es zurück ins Hotel und damit stieg die Spannung nun ins Unermessliche. Die letzten Dinge wuden vorbereitet. Noch einmal habe ich mir meine Taktik wieder und wieder durchgerechnet. Eine 2:39 schien mir praktisch unmöglich – eine 2:42 wäre erstrebenswert – aber war ein solches Ziel unter all den Umständen überhaupt noch realistisch? Die Verunsicherung war immer noch präsent – und die Vorzeichen waren genau so, dass man bei einem missratenen Marathon im Nachhinein sagen könnte: „eigentlich hatte ich es ja von Anfang an gewusst.“


Am Sonntag Morgen wachte ich nach einer sehr kurzen und unruhigen Nacht um 5:18 Uhr auf – Sven war auch gleich wach. Ich zog mir etwas an und fuhr zur ersten Darmentleerung mit dem Lift ins U1 – dort gab es saubere WC's bei ungestörter Atmosphäre. Wir frühstückten den Grossteil im Hotelzimmer und gingen dann um 6 Uhr noch zum Frühstücksbuffet hinunter um ein Brötchen mit Honig zu essen. Gegen 7 Uhr verliessen wir das Hotel.


Blauer Himmer, die Sonne war gerade dabei aufzugehen, noch war alles ziemlich dunkel und die Freude gross. Ich war heiß auf diesen Lauf, ich wusste, dass mit dem dritten Kind ein weiterer Marathon mit solchem Trainingsaufwand schwierig werden würde. Ich verinnerlichte mir noch einmal alle Erschwernisse und die fast schlaflose letzte Woche. Ach, fast hätte ich vergessen zu erwähnen, dass ich zu allem dazu am Renntag mit einer leichten Erkältung aufgewacht war. Die Stimme war belegt und die Nase verschnupft.
 

Und so marschierte ich gemeinsam mit Sven vom Hauptbahnhof her Richtung Startgelände – emotional gerührt und hoch motiviert diese Chance heute zu packen – egal wie die Vorzeichen waren. Im Startgelände war zwar schon viel Betrieb, aber wegen dem vielen Platz der zur Verfügung stand, war alles ganz entspannt. Wir gaben unsere Startbeutel mit den Kleidern ab und begaben uns sehr früh zu den Startblöcken. Da wurde einem klar was es heisst in Berlin zu starten: 40'000 LäuferInnen... das ist schon unglaublich eindrücklich – und auf der Strecke wird man von rund einer Million Zuschauer angefeuert – bei welchem Hobby hat man das schon?

Wir folgten dem Tipp von Birger (auch vom #Twitterlauftreff) und suchten auf der anderen Seite des Startblocks nach freien Dixie-Klos. Da landeten wir doch tatsächlich beim Elite-Bereich und standen direkt vor Lisa und Anna Hanher (die beiden Marathonzwillinge und Publikumslieblinge) – es war eindrücklich zu sehen wie konzentriert Anna vor dem Marathon war (Lisa war ja nur als Fahrrad-Begleiterin unterwegs). Wir wechselten wieder die Seite und trafen dort sogar noch Christian (wie schön ihn vor dem Start noch einmal getroffen zu haben) und den @pep909 (stelle gerade fest, dass ich seinen richtigen Namen gar nicht weiss. Er ist auch ein sehr schneller Österreicher!).

Dann schliesslich kam der Moment wo ich mich von Sven trennte – er startete im Block hinter mir und so wurde es langsam ernst. Als ich im Startblock stand realsierte ich noch einmal, dass meine Nerven wirklich komplett blank lagen, denn gerade eben hatte ich mein letztes Gel, das ich eigentlich in den Händen tragen wollte, weggeworfen, weil ich dachte es sei überzählig! Ich blieb ruhig und wusste, dass die fünf Gels die ich an meinen Laufhosen befestigt hatte (zwei mit Babysocken #ProTipp) eigentlich genügen müssten. Der @pep909 stand auf einmal direkt neben mir und wir wünschten uns ein letztes Mal alles Gute für das Rennen.


Dann endlich fiel der Startschuss – die gelben Luftballons neben uns flogen dem Himmel entgegen – ich musste rund 20 Sekundne gehen – und dann ging es definitiv los – endlich! Woohooo! Ich kam gut weg und lief direkt vom Start weg eine Pace (Pace = Geschwindigikeit in Min pro km) von 3:45 – das war in etwa das was ich mir ambitioniert vorgenommen hatte um eine Zielzeit von 2:39 zu erreichen. Damit lief ich einen Marathon so schnell an wie noch nie zuvor. War das vernünftig? Ich hatte mir eine vorsichtige und eine mutige Taktik zurecht gelegt – doch bereits auf den ersten Metern setzte ich voll und ganz auf die mutige Taktik. „Wer nichts wagt – gewinnt nichts!“, „wann würde ich wieder eine solche Gelegenheit haben? – wenn überhaupt!“. Ich fühlte mich grossartig. Mein linkes Knie, das noch vor drei Tagen nach einem lockeren Lauf stark schmerzte, wurde die letzten zwei Tage komplett geschohnt und so hatte ich durch und durch ein gutes Gefühl. Ein paar Mal musste ich mich an langsameren Läufern vorbeikämpfen. Etwas hin- und her und dann aber hatte ich mehr oder weniger „freie Fahrt“.
 

Ich drückte die Km-Zwischenzeiten ab und erkannte, dass ich tatsächlich die 3:45er Pace aufrecht hielt und ich fühlte mich dabei nach wie vor auch sehr locker. Doch dann kam Kilometer fünf (5!) - auf einmal verkrampft sich mein linker, hinterer Oberschenkel, ganz vorne an der Kniekehle. Dazu ein stechender Schmerz. Ich dachte ich spinne. Da laufe ich meinen 23. Marathon – hatte noch nie zuvor während irgend eines Laufs (weit über 10'000 Trainingskilometer eingeschlossen) Probleme mit Krämpfen und nun will dieser Muskel bei Km 5 loskrampfen!? Ehrlich, ich war einen kurzen Moment lang kurz davor heulend stehen zu bleiben, mir die Startnummer vom T-Shirt zu reissen und das ganze Unterfangen einfach zu beenden – zu schlecht waren die ganzen Vorzeichen. Doch dann zeigte sich einmal mehr meine mentale Stärke (22 Marathons gehen nicht spurlos an einem vorbei) und ich gab mir einen Ruck! Ich machte mir klar, dass ich noch nie einen Krampf hatte – und dass ich dieses Ding jetzt durchziehe würde – egal welche Schmerzen noch kommen würden – und dass ich weiter auf eine 2:39 hin laufe! Jawohl – eine echte Kampfansage! Ich versuchte zwischendurch während dem Laufen durch einen langen Schritt den Muskel etwas zu dehnen. Und so viel vorweg: er hielt bis ins Ziel, wenn ich auch drei- viermal einen stechenden Schmerz aushalten musste.
 

Nun war ich also voll im Rennen. Und trotz meines schnellen Einstiegs und den muskulären Schwierigkeiten entschied ich mich dazu zwischen Km 11 und 21 möglichst unter der Pace von 3:45 zu laufen, was mir rückblickend auch knapp gelang. So passierte ich die Halbmaratonmarke doch tatsächlich in einer Zeit von 1:19:12! Damit war ich schneller unterwegs als noch bei meinem Halbmarathontest von vor drei Wochen und ich lag lediglich 1 Minute und 26 Sekunden über meiner persönlichen Halbmarathonbestzeit. Jeder der etwas von Marathon versteht würde frühestens jetzt den Mahnfinger hochhalten und sagen. „Junge, Dich wird hinten raus der Hammermann tot schlagen!“ - und wenn sich einer im Marathon auskennt, dann ich. Und ich wusste, dass ich mich mit diesem Start auf einer Gratwanderung befand – nun stand das Unternehmen Berlinmarathon definitiv auf Messers schneide. Aber ich war mental gut vorbereitet und mit dem sechsten Angriff auf meine persönliche Bestzeit (innerhalb von drei Jahren) war ich mittlerweilen mit allen Wassern gewaschen.


Die Verpflegung funktionierte einwandfrei und die unter die Haut gehende Stimmung an der Strecke ging fast kalt an mir vorbei. Meine Gedanken waren voll und ganz konzentriert, mein ganzer Körper wurde in einer gewaltigen Willensübung auf dieses schier unmögliche Ziel, eine Zielzeit von 2:39 bis 2:42 zu erlaufen, getrimmt. Hin und wieder genoss ich die Menge und winkte den Leuten dankend zu. Es ist schon unglaublich motivierend! Ein – zweimal drifteteten meine Gedanken zu den erfolglosen Gesprächen im Geschäft von vergangener Woche ab – und ich spürte wie mich das nervte – doch auch da war ich bestens vorbereitet. Am rechten Handgelenk tug ich ein Rainbow-Loom Armband, das mein älterer Sohn selber geknüpft und mir geschenkt hatte – und wie ich meinen Blick auf das Armband richtete sah ich innerlich meinen Sohn, meine Familie, wie sie jetzt Zuhause den Berlin Marathn am TV verfolgen - und mit mir mitfiebern würden – „kämpfe für ihn! Los!“, ging es mir durch den Kopf und die Energie war wieder da.


Mittlerweilen war ich bereits kurz vor km 30. Immer noch konnte ich das hohe Tempo halten, immer noch war alles möglich: eine 2:39 wie auch ein DNF (Did Not Finish = hat das Ziel nicht erreicht). Seit ein paar Km lief ich zusammen mit einem recht unruhigen Läufer. Ein paar mal musste ich ihm abrupt ausweichen – und kaum zog ich an ihm vorbei überholte er mich gleich wieder. Trotz seiner nervösen Art war ich ihm dankbar dafür, dass ich mit ihm immerhin jemanden hatte, an dem ich mich etwas orientieren konnte (im Nachhinein habe ich gelesen, dass er am Ende 1 Minute und 28 Sekunden nach mir das Ziel erreichte). Ansonsten lief ich den Maratohn – trotz der vielen LäuferInnen in meinem Tempo, also alleine.


Dann erreichte ich Km 33 und damit auch meinen ersten Tiefpunkt. Zwar ging es mir noch einigermassen gut – und ich dachte auch, dass ich das Tempo nach wie vor hoch hielt, aber nun kam es zu ersten Nebenwirkungen des hohen Anfangtempos. Ich drückte ja jeweils die einzelnen Kilometer mit der Uhr ab um exakt zu wissen, wie schnell ich lief (GPS – Signal allein ist da zu ungenau) und wie ich da bei Km 33 die Rundentaste drückte – erkannte ich nicht die riesige Zahl auf dem Display, sondern nur die kleinere Zahl darunter (die ich bisher bei der Uhr noch nie wahrgenommen hatte) – im Nachhinein stellte ich fest, dass es sich dabei um die verstrichene Gesamtzeit handelte. Ich las also eine 2:05 – oder so etwas ähnlich ab. Was sollte ich mit dieser Pace? Ich dachte allen ernstes: „Ok, die Uhr hat mal wieder einen Aussetzer“ (was ja tatsächlich hin- und wieder der Fall war), blieb ruhig und versuchte einfach das Tempo zu halten. Auch bei Km 34 und 35 war ich nicht mehr fähig meine Pace genau abzuschätzen. Ich wusste, dass ich nach wie vor gut im Rennen lag. Für eine PB (persönliche Bestzeit) sollte es so oder so reichen. Auch dachte ich immer wieder an die 161km – Trainingswoche – das gab mir jeweils Kraft und Motivation.


Dann aber kurz vor Km 40 hatte ich auf einmal Seitenstechen und meine Atmung schien ausser Kontrolle zu geraten. „Nein!“, ging es mir durch den Kopf „nicht jetzt so kurz vor dem Ziel noch alles verlieren!“ - ich versuchte ruhig zu bleiben, tief zu atmen, ich versuchte einfach noch so schnell wie möglich zu laufen – das Limit war längst überschritten. Aber ich wusste, dass jede Sekunde gerettet werden musste. Bei km 40 hatte ich endlich wieder einen klaren Kopf und konnte erkennen, dass ich wohl eine 2:39 nicht mehr erreichen würde – aber – und mir schossen Emotionen durch den Körper – ich würde wohl unter der unglaublichen Marke von 2:42 bleiben – wenn ich nicht noch ganz zusammenbreche...


Dann ging es auf einmal schnell. Ich kämpfte beherzt. Bog links ein – und erblickte von Weitem das Brandenburger Tor. Schloss kurz die Augen und holte mit einem zweiten Blick die Gewissheit: ja, es war das Brandenburger Tor! – „die letzten 600m“ schoss es mir durch den Kopf. Laute Musik, eine tobende Masse – Tränen kullerten aus meinen Augen, blieben aber hinter meiner Sonnenbrille verborgen. Was ging mir da innert Sekunden nicht alles durch den Kopf. Ein Schrei! Ich strecke meine Arme in die Höhe – spreizte sie auseinander und genoss diesen speziellen Moment. Was für eine mentale Leistung! Welch ein Meisterstück! Daumen nach oben – ich bedankte mich bei den Leuten, dafür, dass sie mich auf den ganzen 42.2km angefeuert hatten. So etwas erlebst Du nur in Berlin! Das ist Berlin Marathon! Jetzt waren sämtliche Schmerzen weg und ich versuchte einfach noch meinen Körper bis ins Ziel zu befördern, möglichst ohne Tempoverlust. Mir ging auch noch durch den Kopf, dass ich in wenigen Augenblicken erfahren würde, wie es Christian bei seinem Versuch die 2:29 zu laufen ergangen ist. Freude und Stolz erfüllten mich auf den letzten Metern – und mit einem Doppelschrei der Erleichterung finishte ich in unglaublichen 2:41:35! Was für ein Wahnsinn! Was für eine mentale Meisterleistung! Eine weitere neue persönliche Bestleistung! Wie 2013 schaffte ich somit auch 2014 zwei persönliche Marathonbestzeiten innerhalb eines Jahres – diesmal sogar beide Zeiten unter 2:45 - das ist doch alles nur verrückt! Was für ein Happy End nach dieser ganzen Vorgeschichte – ich hatte alles einfach weggesteckt und hatte dieses Ding voll und ganz durchgezogen! Fantastisch!


Im Ziel stiess ich direkt auf Christan der etwas enttäuscht erzählte, dass er „nur“ eine 2:32:44 erreicht hätte – ich habe mich jedenfalls für seine grossartige Zeit unglaublich gefreut!! Auch das eine Meisterleistung! Dann stieg die Spannung wann wohl der @pep909 und Sven eintreffen würden? Christian und ich wurden dazu getrieben weiter zu gehen, also machten wir uns auf den Weg zu den Startbeuteln. Wir waren so oder so alle für 16 Uhr verabredet, so konnte ich in aller Ruhe duschen und mich frisch anziehen. Anschliessend lief ich über den riesigen Rasenplatz vor dem Deutschen Bundestag und suchte Sven, dabei lief ich Birger über den Weg, der voller Freude von seinem ersten sub drei Stunden Marathon berichtete (herzliche Gratulation noch einmal an dieser Stelle). Sven rief mich schliesslich auf dem Mobiltelefon an und war ganz ettäuscht. Ihm ist es leider nicht so gut gelaufen wie er es sich erhofft hatte. Er finishte zwar in starken 3:05 bei seinem zweiten Marathon, aber er wollte deutlich unter drei Stunden laufen. Gratulation trotzdem Sven – und Deine wahre Zeit holst Du Dir noch!!! Schliesslich erreichte mich dann auch noch die Nachricht, dass der @pep909 in fantastischen 2:46 gelaufen ist – was für ein Teufelskerl – aber anhand seiner diesjährigen Wettkampfzeiten war das für mich keine Überraschung – trotzdem wahnsinn und Gratulation!
 

Ich war nun nach dem Lauf sichtlich geschwächt. Beim Treffen um 16 Uhr verspürte ich noch absolut keinen Appetit. Ich ass trotzdem eine Portion Pommes und ein Eis, was mir doch wieder etwas Kraft gab. Es war toll noch einmal so viele Twitter-Avatare persönlich getroffen zu haben (auch wenn ich fix und fertig war). Dann hiess es für mich Rückfahrt und -flug nach Hause!


Auch Zuhause blieb der Appetit komplett aus. Stattdessen breitete sich schleichend ein Virus in mir aus. So, dass ich schliesslich nach erschöpfenden drei Arbeitstagen am Donnerstag und Freitag krank geschrieben werden musste. 36 Stunden habe ich fast am Stück durchgeschlafen – so viel Müdigkeit steckte nach all dem Erlebten in mir! Aber anschliessend kam dann endlich der langersehnte Heisshunger auf ALLES – und mit mir ging es schnell wieder aufwärts :-)


Was geblieben ist, ist ein Husten, die Erkenntnis, dass ich mental nicht unter zu kriegen bin, wenn es darauf ankommt – so wie Freude und Stolz über meine Leistung – und auch die Bestätigung, dass Twitter eine ungemein starke Sache ist! Und wenn sich jetzt jemand fragt: „wozu macht er das?“. Dann fällt mir die Antwort ganz leicht: „nicht für Geld, nicht für Ruhm, nicht für irgend eine Rangliste – ich mache das alles einzig und alleine für mich selbst – ich lebe mich – ich lebe Marathon!!!“ ...und bitte graviert diese 2:41:35 auf meinen Grabstein :-)

Im Moment habe ich keine Pläne für einen weiteren Marathon. Das heisst den Frühlingsmarathon werde ich sicher auslassen – bzw. nicht auf PB laufen, wenn es zu einem kommen sollte. Denn jetzt liegt der Fokus ganz auf dem dritten Kind das wir mit freudiger Anspannung zur Weihnachtszeit erwarten.

...nur in den ganz hinteren und dunkelsten Windungen meiner bescheidenen Hirnmasse regt sich ein kleiner Traum, in dem ich 2015 wieder in Berlin laufe – und zwar in 2:39:59 – nach dem Marathon ist vor dem Marathon - es lebe #Berlin239! Es lebe der #Twitterlauftreff – ihr seid alle stark Jungs und Mädels!


An dieser Stelle ein Dankeschön an meine beiden Söhne die mich während dem ganzen Training aushalten mussten. Ein Dankeschön auch an den #Twitterlauftreff für das unglaubliche Anspornen und Motivieren – das war einfach Klasse. Auch die vielen guten Worte die ich von euch allen vor und nach dem Marathon erhalten habe. Ein Dankeschön auch an die Jogginggruppe vom TV Riehen, insbesondere natürlich an Rahel, für die jeweils tollen regenerativen Einheiten am Montag Abend – die geben mir jeweils wieder richtig Kraft für die harte Trainingswoche. Ein Dankeschön auch an meine Schwiegereltern und Schwager für das Betreuen der Kinder während dem Marathonwochenende und auch immer wieder während der Trainingszeit. Ein Dankeschön auch an meine Eltern die mir immer mal wieder eine 35km Runde ermöglicht haben (Kinder hüten). Und den grössten Dank – wie immer, aber nicht selbstverständlich – an meine Frau Elissa, ohne sie wäre das alles mit Familie gar nicht möglich... Danke, Danke, Danke!!!

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